Maschinelle Übersetzung und juristische Texte — Warum Fachwissen unersetzlich bleibt
In den vergangenen Wochen haben wir die technologischen Grundlagen moderner KI-Übersetzung, rechtliche Risiken und effektive Qualitätssicherung beleuchtet. Heute widmen wir uns einem besonders anspruchsvollen Teilbereich: der maschinellen Übersetzung juristischer Texte in der technischen Dokumentation.
Für technische Unternehmen ist dieses Thema von außerordentlicher Bedeutung. Jede Betriebsanleitung, jedes Datenblatt und jede Konformitätserklärung enthält rechtlich relevante Passagen – von Gewährleistungshinweisen über Haftungsausschlüsse bis hin zu regulatorischen Informationen. Werden diese Abschnitte fehlerhaft übersetzt, drohen erhebliche Risiken.
Während KI-Übersetzungen in vielen Bereichen wie z.B. der technischen Übersetzung beeindruckende Fortschritte erzielen, stellt sich die entscheidende Frage: Kann künstliche Intelligenz die komplexen juristischen Nuancen korrekt erfassen und wiedergeben? Oder bleibt menschliches Fachwissen in diesem Bereich unverzichtbar?
Systemische Rechtshürden bei maschineller Übersetzung
Die Übersetzung juristischer Texte birgt eine fundamentale Herausforderung: Sie erfordert nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine konzeptuelle Übertragung zwischen unterschiedlichen Rechtssystemen.
Rechtsordnungen im Vergleich
Unterschiedliche Rechtsordnungen basieren auf grundlegend verschiedenen Konzepten und Terminologien. Ein juristischer Übersetzer muss die Unterschiede zwischen der Rechtsordnung, in der das Original entstanden ist, und derjenigen, in der das Translat erscheinen soll, verstehen und für den Leser explizieren, um vorhandene Lücken zu schließen und Missverständnisse zu vermeiden.
Ein klassisches Beispiel: Der deutsche Begriff „Gewährleistung“ lässt sich nicht direkt mit dem englischen „warranty“ gleichsetzen, da beide Konzepte in ihren jeweiligen Rechtssystemen unterschiedlich definiert sind und verschiedene rechtliche Implikationen haben.
Diese hermeneutische Tätigkeit überschreitet die Fähigkeiten aktueller KI-Systeme – selbst fortschrittlichster Large Language Models. Während sie oberflächlich korrekte Übersetzungen liefern können, fehlt ihnen das tiefe Verständnis der zugrundeliegenden Rechtskonzepte.
„False friends“ in der juristischen Übersetzung
Besonders tückisch sind sogenannte „false friends“ – Begriffe, die in verschiedenen Rechtssprachen ähnlich klingen, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Ein Beispiel im deutsch-englischen Kontext:
• „Kontrolle“ ≠ „control“ (sondern eher „review“ oder „inspection“)
• „aktuell“ ≠ „actually“ (sondern „current“ oder „up-to-date“)
Bei kommerziellen Verträgen, Haftungsklauseln oder Gewährleistungsbestimmungen können solche subtilen Unterschiede weitreichende rechtliche Konsequenzen haben.
Rechtskulturspezifische Interpretation
Die Rechtssprache ist reich an komplexen Nuancen und präziser Terminologie, die eine korrekte Auslegung auf der Grundlage menschlichen Wissens und menschlicher Erfahrung erfordert. Die korrekte Interpretation juristischer Konzepte erfordert ein Verständnis von Rechtsgrundsätzen, kulturellen Unterschieden und Kontextfaktoren, die in ihrer Gesamtheit von KI-Systemen noch nicht vollständig erfasst werden können.
Typische Fehlerquellen bei juristischen KI-Übersetzungen
Die maschinelle Übersetzung juristischer Texte ist anfällig für spezifische Fehlertypen, die erhebliche rechtliche Konsequenzen haben können.
„Halluzinationen“ und ihre rechtlichen Konsequenzen
Ein extremes, aber lehrreiches Beispiel für die Limitationen von KI-Systemen stammt aus dem juristischen Bereich: Ein amerikanischer Anwalt wurde mit einer Geldstrafe von 5.000 US-Dollar belegt, nachdem er ChatGPT für Rechtsrecherchen genutzt hatte und das System nicht existente Gerichtsentscheidungen frei erfunden hatte, wie das Fachportal Beck-Stellenmarkt berichtet. Der Anwalt erklärte, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass ChatGPT auch falsche Aussagen treffen könne.
In der technischen Dokumentation könnten solche „Halluzinationen“ bei der Übersetzung von Haftungsklauseln oder regulatorischen Aussagen verheerende Folgen haben. Ein erfundener oder falsch übersetzter Normenverweis könnte beispielsweise die Rechtswirksamkeit einer Konformitätserklärung kompromittieren.
Täuschende Flüssigkeit als Risikofaktor
Eine besondere Gefahr liegt in der scheinbaren Natürlichkeit maschineller Übersetzungen: Je flüssiger der Text oder die Übersetzung klingt, umso besser verstecken sich typische „Maschinen-Fehler“.
Diese scheinbare Flüssigkeit vermittelt ein falsches Sicherheitsgefühl. Während stilistische Ungeschicklichkeiten sofort ins Auge fallen und zur Überprüfung anregen, können inhaltliche Fehler in sprachlich eleganten Übersetzungen leicht übersehen werden.
Fehlende kritische Textanalyse
Ein weiterer wesentlicher Vorteil menschlicher Übersetzer ist ihre Fähigkeit zur kritischen Textanalyse: Niemand liest einen Text so genau wie der Übersetzer.
Während maschinelle Übersetzungssysteme Fehler im Ausgangstext übernehmen, entdecken fachlich qualifizierte Übersetzer beim Lesen und Erfassen von Texten nicht selten auch inhaltliche Unstimmigkeiten oder inhaltliche Fehler und können diese korrigieren oder rückfragen.
Diese kritische Prüfung ist besonders bei rechtlichen Texten unverzichtbar, da hier jede Ungenauigkeit potenzielle Haftungsrisiken birgt.
Haftungsrisiken bei maschinell übersetzten Rechtstexten
Die Risiken fehlerhafter Übersetzungen juristischer Texte sind vielfältig und können erhebliche Auswirkungen haben.
Aktuelle Rechtsprechung und EU-Entwicklungen
Eine zentrale Frage im Kontext maschineller Übersetzung ist: Wer haftet im Fall eines Fehlers, wer ist letztendlich verantwortlich und wie können sich international agierende Unternehmen langfristig vor riesigen Haftungsfällen im internationalen Geschäft schützen?
Die Rechtslage entwickelt sich aktuell durch Gerichtsentscheidungen und regulatorische Initiativen: Die EU-Kommission hat am 28. September 2022 einen „Vorschlag über die außervertragliche zivilrechtliche Haftung mit Blick auf künstliche Intelligenz“ vorgelegt, da laut einer repräsentativen Umfrage die Haftung zu den drei größten Hindernissen für den Einsatz von KI durch europäische Unternehmen zählt.
Eine wegweisende Entscheidung des Landgerichts Kiel vom 29. Februar 2024 (Az. 6 O 151/23) befasste sich mit der Frage, inwieweit Betreiber von KI-gestützten Systemen für Fehler und Falschinformationen haften, die durch automatisierte Prozesse entstehen. Das Gericht betonte, dass die Beklagte als unmittelbare Störerin haftet. Sie kann sich nicht auf die vollständige Automatisierung der Fehlerentstehung berufen, da sie bewusst KI-Systeme einsetzt.
Wirtschaftliche Folgen und Reputationsrisiken
Die wirtschaftlichen Konsequenzen fehlerhafter Übersetzungen können gravierend sein: Übersetzungsfehler können extrem teuer werden und schlimmstenfalls ein Menschenleben zerstören. Zu den spezifischen Risiken bei der Nutzung von KI-Übersetzern zählen auch ein ramponierter Ruf und wenig Kontrolle über das Markenimage.
Ein konkretes Beispiel: Ein mittelständischer Maschinenhersteller musste einen kostspieligen Rückruf durchführen, nachdem eine falsch übersetzte Sicherheitswarnung zu einem Arbeitsunfall geführt hatte. Die Übersetzung war zwar grammatikalisch korrekt, hatte aber eine entscheidende Warnung abgeschwächt. Die Versicherung verweigerte die Kostenübernahme mit Verweis auf grobe Fahrlässigkeit bei der Qualitätssicherung der Übersetzung.
Effektive Hybridansätze für juristische Texte
Der effektivste Ansatz für die Übersetzung juristischer Texte in technischen Kontexten kombiniert die Stärken maschineller und menschlicher Übersetzung.
Differenzierte Einsatzszenarien: Wann KI sinnvoll ist
Der optimale Einsatz von KI-Übersetzung hängt stark vom Anwendungskontext ab:
Um beispielsweise einen groben Überblick zu erhalten, sind Maschinenübersetzungen oft hilfreich. So bietet etwa das europäische Patentamt eine Übersetzungsmaschine an, mit der man Patente suchen und in 32 Sprachen übersetzen kann.
Anders sieht es aus, wenn man sich auf die Übersetzung verlassen können muss, etwa bei Dokumenten für Gerichtsverfahren oder bei Verträgen. Hier sind zusätzliche Qualitätssicherungsmaßnahmen unverzichtbar.
Eine sinnvolle Differenzierung könnte so aussehen:
• Interne Recherche: KI-Übersetzung ohne Post-Editing für ein grundlegendes Verständnis
• Standardbestimmungen: KI-Übersetzung mit Light Post-Editing durch Fachübersetzer
• Kritische juristische Inhalte: KI-Vorübersetzung mit Full Post-Editing durch juristische Fachübersetzer
• Höchstkritische Passagen: Rein menschliche Übersetzung durch spezialisierte juristische Fachübersetzer
Qualifikationsanforderungen für juristisches Post-Editing
Für das Post-Editing juristischer Übersetzungen sind spezifische Fachkenntnisse erforderlich. Juristische Fachübersetzer können Einblicke in juristische Nuancen geben, die einer maschinellen Übersetzung entgehen könnten, und so sicherstellen, dass der übersetzte Text die beabsichtigte rechtliche Bedeutung genau wiedergibt.
Die Anforderungen an das „Posteditieren maschinell erstellter Übersetzungen“ sind in der Norm DIN ISO 18587 festgelegt. Diese Norm definiert sowohl die Prozessanforderungen als auch die Qualifikationen der Post-Editoren.
Eine wichtige Erkenntnis bei der Überprüfung maschinell übersetzter juristischer Texte ist, dass Inhouse-Mitarbeiter, die die jeweilige Sprache „eigentlich ziemlich gut“ beherrschen, nicht wirklich die beste Wahl sind. Qualifizierte und erfahrene Übersetzer wissen (aufgrund ihrer sprachlichen Kompetenzen, aber auch aufgrund ihrer Kenntnis der maschinell möglichen Qualität), wo die Maschine gerne Fehler macht und finden diese sicherer und schneller.
Prozessoptimierung und Qualitätssicherung
Die erfolgreiche Integration von KI in juristische Übersetzungsprozesse erfordert einen strukturierten Ansatz: Mit einem professionellen Prozess und den entsprechenden Tools lassen sich heute schon KI-gestützte Übersetzungen zusammen mit humanen Post-Editoren anfertigen, die – verbunden mit einer konsistenten Terminologie – den Inhalt richtig und gut verständlich wiedergeben.
Ein bewährter Workflow für juristische Inhalte in technischer Dokumentation umfasst:
1. Pre-Translation-Validierung: Kennzeichnung rechtlich relevanter Passagen
2. KI-Vorübersetzung: Nutzung spezialisierter KI-Systeme mit Rechtsterminologie-Training
3. Terminologie-Injektion: Automatische Anwendung geprüfter juristischer Fachbegriffe
4. Post-Editing: Durch juristische Fachübersetzer gemäß ISO 18587
5. Rechtliche Validierung: Abschließende Prüfung durch Rechtsexperten
6. Dokumentation: Vollständige Nachvollziehbarkeit des Übersetzungsprozesses
Die Integration dieser Schritte in ein leistungsfähiges CAT-Tool wie memoQ garantiert einen effizienten, aber dennoch rechtssicheren Übersetzungsprozess.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die maschinelle Übersetzung juristischer Texte in technischen Kontexten hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und bietet beeindruckende Effizienzgewinne. Dennoch bleiben zentrale Herausforderungen bestehen, insbesondere im Hinblick auf die Präzision, kulturell-rechtliche Unterschiede und kontextuelle Interpretation.
Konkrete nächste Schritte für technische Dokumentationsteams
1. Bestehende Texte analysieren: Identifizieren Sie die rechtlich relevanten Passagen in Ihrer technischen Dokumentation und bewerten Sie deren Kritikalität
2. Differenzierte Strategie entwickeln: Legen Sie fest, welche rechtlichen Inhalte rein menschlich übersetzt werden müssen und wo KI mit qualifiziertem Post-Editing ausreicht
3. Juristische Terminologiedatenbank aufbauen: Erstellen Sie eine validierte Datenbank rechtlicher Fachbegriffe für alle Zielsprachen
4. Qualifizierte Partner auswählen: Arbeiten Sie mit Übersetzungsdienstleistern zusammen, die sowohl technische als auch juristische Fachkompetenz nachweisen können
5. Rechtssicheren Workflow etablieren: Implementieren Sie einen dokumentierten Prozess mit klaren Verantwortlichkeiten und Qualitätssicherungsschritten
Zukunftsperspektive: Spezialisierte juristische KI-Übersetzer
Die technologische Entwicklung im Bereich der KI-Übersetzung schreitet rasch voran. Fortschritte in der Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP) und in den Algorithmen des maschinellen Lernens machen KI-Übersetzungen zunehmend ausgefeilter.
Laut einer Studie von Gartner werden interne Rechtsabteilungen bis 2024 etwa 50% aller großen Unternehmenstransaktionen mit NLP- und ML-Technologien abwickeln. Bis 2025 werden sie ihre Ausgaben für diese Technologien voraussichtlich verdreifachen, was angesichts der Tatsache, dass KI die Arbeitsbelastung von Anwälten um bis zu 90% reduzieren kann, sinnvoll ist.
Dennoch bleibt die zentrale Herausforderung die Balance zwischen Effizienz und Qualität: Als Rechtsübersetzer stehen wir an einem Scheideweg. Auch wenn uns die Verheißungen der Innovation locken, können wir die Warnungen vor möglichen Ungenauigkeiten und den damit verbundenen Risiken nicht ignorieren.
Die optimale Strategie liegt in einem hybriden Ansatz, der die Effizienz und Skalierbarkeit maschineller Übersetzung mit der unersetzlichen Fachexpertise menschlicher Übersetzer kombiniert. Besonders bei rechtlich relevanten Texten, die potenzielle Haftungsrisiken bergen, ist eine qualifizierte menschliche Überprüfung unverzichtbar.
PRODOC als Partner für rechtssichere Übersetzungen
Als PRODOC Translations unterstützen wir Sie bei der Implementation rechtssicherer KI-Übersetzungslösungen für Ihre technische Dokumentation. Mit unserer einzigartigen Kombination aus ingenieurwissenschaftlichem Know-how, juristischem Verständnis und drei Jahrzehnten Erfahrung in der technischen Übersetzung helfen wir Ihnen, die Effizienzpotenziale der KI zu nutzen – ohne dabei rechtliche Risiken einzugehen.
Unser memoQ-basierter Workflow mit juristisch geschulten Post-Editoren gewährleistet höchste Qualität bei gleichzeitiger Kostenkontrolle. Wir kennen die Fallstricke maschineller Übersetzung im juristischen Kontext und wissen, wie Sie diese vermeiden.
Kontaktieren Sie uns für ein unverbindliches Beratungsgespräch, in dem wir gemeinsam analysieren, wie Sie juristische Inhalte in Ihrer technischen Dokumentation optimal übersetzen können.
Häufige Fragen
Juristische Texte basieren auf hochspezifischer Terminologie, kulturellen Normen und komplexen Rechtssystemen, die nicht einfach wortwörtlich übertragen werden können. Jeder Begriff ist oft tief im jeweiligen Rechtssystem verankert und hat Konnotationen, die maschinelle Übersetzungen in der Regel nicht vollständig erfassen. Dazu kommt: Unterschiedliche Länder verwenden ähnliche Begriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen. Ohne ein fundiertes Verständnis des juristischen Kontexts kann KI bestenfalls sprachlich korrekte, aber rechtlich unzutreffende Übersetzungen liefern – ein erhebliches Risiko für Unternehmen.
Fachquelle:
https://translatemedia.com/de/blog-de/warum-juristische-uebersetzungen-so-komplex-sind/
Bei der maschinellen Übersetzung juristischer Texte treten oft diese Fehler auf:
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Falsche Entsprechungen: Begriffe werden wörtlich, aber nicht kontextgerecht übersetzt.
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„False Friends“: Begriffe klingen ähnlich, haben aber unterschiedliche rechtliche Bedeutungen.
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Auslassungen oder Generalisierungen: Präzise Details werden verloren oder ungenau wiedergegeben.
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Fehlende Kontextanalyse: Die KI erkennt nicht, welche Passage kritisch für die Haftung oder Gewährleistung ist. Solche Fehler können die Rechtsgültigkeit eines Dokuments beeinträchtigen oder zu Haftungsansprüchen führen.
Halluzinationen entstehen, wenn KI-Systeme scheinbar plausible, aber faktisch falsche Inhalte „erfinden“. In juristischen Übersetzungen ist dies besonders gefährlich: Beispielsweise kann die KI Normen, Gerichtsentscheidungen oder gesetzliche Bestimmungen erfinden oder falsch interpretieren. Das führt zu schwerwiegenden rechtlichen Problemen, etwa ungültigen Haftungsausschlüssen oder fehlerhaften Konformitätserklärungen. Unternehmen riskieren dadurch nicht nur Rechtsstreitigkeiten, sondern auch massive Reputationsschäden und hohe Folgekosten.
Fachquelle:
https://www.beck-stellenmarkt.de/ratgeber/ki-in-der-rechtsbranche-chancen-und-risiken